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Stellungnahme von Prof. Szagun zu Prof. Lenarz
Stellungnahme von Prof. Szagun zur Stellungnahme von Prof. Lenarz zum Interview von K. Kestner mit Prof. Szagun in der Schnecke 37, 2002, S.34
Herr Prof. Lenarz fordert mich auf, die Aussagen bezüglich der an der MHH verwendeten Testmaterialien zu belegen. Entgegen der Behauptung von Prof. Lenarz sind mir die Testmaterialien bekannt.
Ich habe an mehreren Treffen teilgenommen, in denen sie vorgestellt wurden. Leider war Prof. Lenarz bei diesen Treffen nicht anwesend. Ich habe auf diesen Treffen auch meine Kritik bezüglich der Tests vorgebracht. Insofern dürfte es für die Kollegen an der MHH nichts Neues sein, daß ich diese Tests in Teilen für nicht wissenschaftlich fundiert halte. Die Tests halten mindestens in folgenden Aspekten wissenschaftlichen Kriterien nicht stand.
1. Es werden zwar amerikanische Testmaterialien, die in den USA von der FDA (Food and Drug Administration) gefördert wurden, verwendet. Jedoch wurden diese Testmaterialien nicht an das Deutsche adaptiert. Sie wurden lediglich übersetzt. Die mangelnde Adaptation hat z.B. Probleme mit dem Vokabular zur Folge. Dieses wurde nicht auf sein Vorkommen in der Kindersprache überprüft, noch wurden die Worthäufigkeiten überprüft. (In der amerikanischen Version ist beides der Fall). Derartiges Wortmaterial ist nicht geeignet.
2. Die Testdurchführung ist – so wie sie mir und meiner Mitarbeiterin demonstriert wurde – nicht standardisiert. Das hat zur Folge, daß Testaufgaben unterschiedlich dargeboten werden, weil ein Sprecher niemals exakt gleich spricht. Bei Aufgaben zur Diskrimination von Phonemen (Lauten) kann dies einen Effekt auf die Ergebnisse haben, die dann nicht vergleichbar sind.
3. Die Interpretation der Testergebnisse ist oft unangemessen. So kann man aus Aufgaben zum Nachsprechen von Wörtern keine Schlußfolgerungen für den Spracherwerb, der notwendigerweise Grammatikerwerb involviert, ziehen. Beide Fähigkeiten mögen nichts miteinander zu tun haben.
4. Manche der verwendeten Testaufgaben haben auch in der amerikanischen Version ein Problem der Testvalidität. So sind Aufgaben zur Unterscheidung von Phonemen (Lauten) mit dem Verstehen der Wörter konfundiert (vermengt). Folglich ist unklar, was hier eigentlich gemessen wird. Dieses Problem wird allerdings in der englisch-sprachigen wissenschaftlichen Literatur diskutiert. Ein Test wird nicht dadurch besser, daß er international benutzt wird, sondern dadurch, daß man seine Schwächen diskutiert und anschließend verbessert.
Herr Prof. Lenarz scheint Erwartungen bezüglich meiner Tagungsbesuche auf Cochlea-Implantationstagungen zu haben. Nein, ich besuche keine Tagungen zur Cochlea-Implantation. Das ist nicht mein Forschungsgebiet, und ich verstehe auch nichts davon. Allerdings habe ich Prof. Lenarz, der mit seinen Kollegen über Spracherwerb veröffentlicht, noch nie auf Spracherwerbstagungen angetroffen. Im übrigen bitte ich Herrn Prof. Lenarz, meine Äußerungen genau zu lesen. Ich spreche nämlich durchaus nicht von „deutschen Medizinern“, die meinen, mein Wissensgebiet auch zu können, sondern von „manchen deutschen Medizinern“, die das wohl meinen.
Zum Schluß zur Behauptung von Prof. Lenarz, daß das von mir geleitete Forschungsprojekt zum Spracherwerb bei Kindern mit normalem Hören und Kindern mit Cochlea-Implantat, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert wurde, erst durch seinen Einsatz ermöglicht wurde. Diese Behauptung ist falsch. Wie wenig Herr Prof. Lenarz über den Inhalt dieses Projektes weiß, zeigt sich schon daran, daß er behauptet, ich habe die Ergebnisse dieses Projektes auf dem 3rd European Symposium on Paediatric Cochlear Implantation im Jahre 1996 vorgetragen. Richtig ist, daß ich von Prof. Lenarz zu einem Vortrag auf dieser Tagung eingeladen wurde. Ich habe einen allgemeinen Vortrag zum Spracherwerb gehalten und auch die Ergebnisse einer Pilotstudie bei zwei Kindern mit Cochlea-Implantat vorgetragen. Die Daten dazu wurden mir von Frau Sigrid Martin und Herrn Dr. Bertram zur Verfügung gestellt. (Der Vortrag ist im übrigen im American Journal of Otology abgedruckt). Was das von der DFG geförderte Projekt angeht, so wurde im Jahre 1996 erst mit der Datenerhebung begonnen. Ergebnisse waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorhanden. Der Zugang zu den Kindern mit Cochlea-Implantat wurde durch Herrn Dr. Bertram, den Leiter des CIC Hannover, ermöglicht, nicht durch Herrn Prof. Lenarz. Das durch die DFG geförderte Forschungsprojekt wurde ermöglicht, weil ein Forschungsantrag eingereicht wurde, dessen wissenschaftliches Gedankengut und Forschungsplan von mir entworfen und von unabhängigen Gutachtern der Sektion Psychologie und dem Senat der Deutschen Forschungsgemeinschaft für förderungswürdig befunden wurde.
Herr Prof. Lenarz tut sich selber keinen Gefallen, wenn er dieses Gedankengut für sich reklamiert. Wer geistiges Gut sein eigen nennt, wenn es das nicht ist, verstößt gegen die Grundsätze der Ethik in der Wissenschaft. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft achtet strengstens auf die Einhaltung der ethischen Richtlinien (s. Internetseiten der DFG). So ist es unklug, in schriftlicher Form und für jeden nachlesbar eine Leistung für sich zu reklamieren, die man nicht vollbracht hat.
Prof. Gisela Szagun