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Stellungnahme des DGB zu den Äußerungen des Herrn Prof. Diller
Stellungnahme des DGB zu den Äußerungen des Herrn Prof. Diller im Artikel „Mit Händen und Füßen dabei„
Deutscher Gehörlosenbund 21.09.2000
Der Deutsche Gehörlosen-Bund begrüßt das Modellprojekt zur Integration gehörloser Kinder in die Regelschule mittels Deutscher Gebärdensprache an der Friedrich-List-Schule in Frankfurt-Nied ausdrücklich.
Wir sehen darin für gehörlose Kinder mit Basissprache DGS eine gute Möglichkeit zu einer altersgemäßen Schulbildung und frühzeitigen Integration in die Welt der Hörenden, ohne dabei ihre Gehörlosigkeit verleugnen zu müssen. Dies gilt insbesondere, wenn mehrere gehörlose Kinder in der selben Klasse oder zumindest an der selben Schule unterrichtet werden.
Professor Diller soll geäußert haben, dass gebärdende Gehörlose von der Gesellschaft diskriminiert würden und dass die Benutzung der Gebärdensprache ein Hindernis bei der Berufsausbildung und -ausübung sowie im täglichen Leben darstelle. Im Zusammenhang mit dem Frankfurter Modellprojekt soll er vom Weg in die „Isolation“ gesprochen haben.
Der Deutsche Gehörlosen-Bund möchte diesen völlig veralteten Ansichten entschieden widersprechen.
Das gesellschaftliche Klima gegenüber Gehörlosen und ihrer Kultur und Gebärdensprache wird in der Bundesrepublik Deutschland von Jahr zu Jahr aufgeschlossener. Beim DGB beobachten wir von Seiten Hörender eine ständig steigende Nachfrage nach Gebärdensprachkursen, Gehörlosen-Theater- und Kulturveranstaltungen sowie nach Kontakten zu gehörlosen Mitbürgern. Eindrucksvoll kann dies u.a. auch an der regen Teilnahme Hörender an den Internet-Foren von Gehörlosen nachvollzogen werden.
In den vergangenen Jahren haben viele Ausbildungsträger und Arbeitgeber erkannt, dass die Gebärdensprache erhebliche Vorteile bei der Vermittlung des Ausbildungsstoffs an Gehörlose bietet, und machen entsprechende Angebote in der beruflichen Aus- und Weiterbildung. Die Hauptfürsorgestellen finanzieren seit langem die erforderlichen Einsätze von Gebärdensprachdolmetschern am Arbeitsplatz, etwa bei Schulungen, Betriebsversammlungen oder Teambesprechungen. Mit dem Projekt Telesign wird z.Zt. der Einsatz von Gebärdensprachdolmetschern per Bildtelefon im Arbeitsleben erprobt.
Auch auf politischer Ebene steht die endgültige bundesweite Anerkennung der Deutschen Gebärdensprache bevor (geplantes „Gesetz zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter“, „Sozialgesetzbuch IX“ und „Bundesgleichstellungsgesetz für Menschen mit Behinderung“).
Die Behauptung, die Benutzung der Gebärdensprache führe zu Diskriminierung und Isolation ist vor diesem Hintergrund absurd. Lediglich die Äußerungen des Herrn Prof. Diller empfinden wir als diskriminierend gegenüber gehörlosen Menschen und ihrer Sprache!
Die von Herrn Prof. Diller favorisierte Methode der Cochlea-Implantation als Allheilmittel beobachten wir mit großer Skepsis. Nicht alle gehörlosen Kinder sind für diese Operation geeignet, die Hörerfolge sind äußerst unterschiedlich und Langzeitstudien über die tatsächlich erreichte lautsprachliche Kommunikationskompetenz und die Folgen für die psychische Entwicklung fehlen.
Unter Fachleuten aus Medizin und Hörgeschädigtenpädagogik ist es unumstritten, dass gehörlose Kinder trotz CI zeitlebens hörbehindert bleiben und nicht alle Gesprächssituationen allein über das Gehör meistern können. Dies bestätigen uns auch spätertaubte erwachsene CI-Träger, die großenteils weiterhin auf optische Hilfsmittel und visuell unterstützte Kommunikation angewiesen bleiben.
Gerade in der heutigen zunehmend schnelllebigen Informationsgesellschaft und der sich stetig wandelnden Arbeitswelt müssen Hörgeschädigte flexibel auf die verschiedensten Kommunikationssituationen vorbereitet sein. Die Gebärdensprache zu beherrschen und Gebärdensprachdolmetscherdienste in Anspruch nehmen zu können, stellt dabei kein Handicap sondern eine Bereicherung dar.
Wir verstehen, wenn Eltern ihrem gehörlosen Kind durch die CI-Implantation Höreindrücke ermöglichen wollen, warnen jedoch vor übertriebenen Hoffnungen. Auch durch die Verwendung einer Innenohr-Prothese kann man aus einem gehörlosen Kind kein „normal“ hörendes Kind machen. Zur Förderung der Gesamtentwicklung und zur Absicherung der Kommunikation empfehlen wir deshalb, auch bei implantierten Kindern immer zusätzlich Gebärden bzw. Gebärdensprache einzusetzen.
Es gibt keinerlei wissenschaftliche Belege dafür, dass sich dass Erlernen der Gebärdensprache und der Lautsprache gegenseitig behindern. Bei dem Frankfurter Schulprojekt handelt es sich zudem um Kinder, die bereits vor Schuleintritt die Gebärdensprache sicher beherrschten und sich dann in der Schule neben dem Wissenserwerb verstärkt um das Erlernen der Laut- und Schriftsprache bemühen.
Die bisherigen Erfahrungen belegen, dass dieser Weg praktikabel ist. Besonders erfreulich ist dabei, dass dabei nicht nur die gehörlosen Kinder die Sprache der hörenden Mehrheit lernen sondern im Wege einer echten beidseitigen Integration auch die hörenden Schulkameraden die Gebärdensprache erwerben können.
Wir meinen, dass für gehörlose Kinder und Erwachsene weniger ein „Grundrecht auf Hören“ sondern vielmehr ein Grundrecht auf eine eigene Sprache und entspannte und umfassende Kommunikation besteht.
Welche Sprache oder Sprachen und Kommunikationsformen im Einzelfall gewählt werden, müssen die betroffenen Familien selbst entscheiden. Das Modellprojekt zur Integration gehörlose Kinder in die Regelschule mittels Gebärdensprache stellt dabei eine Ergänzung zu bestehenden Angeboten an den Schulen für Gehörlose und Schwerhörige dar.
Kiel, www.gehoerlosenbund.de (Mit freundlicher Genehmigung)