Elternhilfe - unter Druck
von Karin Kestner
Zitate aus verschiedenen Zuschriften an mich und Eltern, die sich gegen ein CI entschieden
Liebe Eltern,
ich habe inzwischen sehr viel Kontakte zu Eltern, die sich nach reiflicher Überlegung gegen ein Cochlea Implantat entschieden haben. Die Mütter und Väter, die sich öffentlich dazu bekennen gegen ein CI zu sein, bekommen sehr viele Mails. Um es gleich vorweg zu sagen, die positiven Mails überwiegen sehr, den Eltern wird zu ihrer Entscheidung gratuliert.
Doch es gibt Menschen, die meinen sie müssten diese Eltern vom Gegenteil überzeugen. Damit Sie einen Eindruck davon bekommen wie diese Menschen versuchen die Eltern trotz ihrer Entscheidung doch noch zum CI zu drängen, habe ich hier einige anonymisierte Zitate aus Zuschriften an mich und an Eltern, die mir diese zur Verfügung gestellt haben, zusammen getragen.
Ich möchte Ihnen hiermit keine Angst machen, aber ich denke, Sie sollten wissen wie heute noch die Realität im Methodenstreit aussieht. Eltern wird es nicht leicht gemacht sich gegen „Technik“ und die vorherrschende Meinung der Mediziner und für eine natürliche Förderung der Kinder zu entscheiden.
Eine Frau an eine Mutter:
…“Mit der Krankenkasse hatte ich nie Probleme, was die Operationskosten anbetrifft! Zu guter Letzt – natürlich möchte ich Ihre Entscheidung nicht beeinflussen – möchte ich noch sagen, dass Sie mit jedem neuen Lebensmonat ihrer Tochter immer mehr die Chance nehmen, doch noch einen gewissen Anteil an der Welt der Hörenden (und damit gleichberechtigt in der Familiengemeinschaft) zu haben und außerdem auch die Chance der einfacheren und aussichtsreicheren beruflichen Zukunft! Ihr Kind bleibt trotz CI gehörlos, es kann auch die Gebärdensprache lernen (wenn die Kultur der Gehörlosen unbedingt angenommen werden möchte), aber der Lebensweg wird auf jeden Fall einfacher. Sehr wichtig ist dabei, dass Sie Ihr Kind durch alle Höhen und Tiefen begleiten. Es war mir einfach ein Bedürfnis, Ihnen diese E-Mail zu schicken – ich lebe übrigens in XXX – und hoffe, dass Sie mir dieses Schreiben nicht übel nehmen, es könnte an Ihrer Entscheidung rütteln!“….
Eine Mutter an eine Mutter:
…“Ich war dann bei dem Treffen der Baby/Kleinkindguppe betroffener Eltern. Da ich sagte, dass mir das CI immer mehr Angst mache, wurde ich von einigen Eltern ziemlich angegriffen. Sie warfen mir vor: “ Ich denke nicht an mein Kind“ und „Ich würde nicht wissen wie hart es für mein Kind werden würde, es würde ständig angegriffen werden“ und „Ich verbaue meinem Kind seine Zukunft“ naja, ect. ect. Aber es geht hier nur um mein Kind, er ist doch so fröhlich und glücklich. Warum will die Gesellschaft das denn nicht akzeptieren? Ich selbst bin der Überzeugung, dass er es mit CI nicht einfacher hat als mit Hörgeräten. Er besitzt noch Resthörigkeit und ich bin nicht gewillt, ihm die von den „Halbgöttern in Weiß“ auch noch nehmen zu lassen. Durch deinen Bericht fühle ich noch mehr betätigt und weiß, dass ich kein schlechtes Gewissen mehr haben muss den Eingriff abzulehnen. Ich danke Dir dafür! Du hast wirklich ganz toll geschrieben, ich wünsche Dir und deiner Familie alles erdenklich Gute“
Ein Krankenkassenmitarbeiter schreibt an eine Mutter:
…“als regelmäßiger Leser verschiedenster Internetseiten zum Thema Schwerhörigkeit, Taubheit , Hörgeräte und CI möchte ich Ihnen gerne ein paar Hinweise zu xxx Situation geben. Kurz noch zu mir selbst: Ich bin gelernter Hörgeräteakustiker und arbeite bei der XXXX In dieser Position als Fachberater habe ich sowohl mit „normalen“ Hörgeräteversorgungen bei Kindern und Erwachsenen zu tun, als auch mit CI-Versorgungen. Zu xxx derzeitiger Situation, so wie sie aus Ihrem Bericht zu entnehmen war, lässt sich folgendes sagen: xxx ist schon fast ein Jahr alt (was „hörtechnisch“ relativ alt ist – Sprachentwicklung findet in der Regel nur bis zum 5. Lebensjahr statt). Trotzdem hat sie beidseits einen durch BERA angenommenen Hörverlust von 115dB. Dieser Wert lässt leider die Hoffnung auf einen Erfolg mit normalen Hörgeräten gegen Null sinken. Die meisten HNO-Fachkliniken operieren bezgl. CI bei Kleinstkindern heute schon ab einem Hörverlust von 90-100dB! Hörgeräte in dieser Leistungsklasse sind rar und die meisten technisch eher einfach. Zudem kann in diesem Alter nie mit Bestimmtheit gesagt werden, wie der Hörverlust bei einer normalen Messung und in einigen Monaten bis Jahren aussehen wird. D.h. aber nicht, dass ich uneingeschränkt für das CI bin (Schließlich kostet uns als Kasse jedes CI ein kleines Vermögen.). Sie als Eltern sollten schon hinter Ihrer Entscheidung stehen, egal in welche Richtung diese geht. Der beste Grund für eine Frühzeitige Implantation eines CI ist, das xxx noch fast ohne Verzögerung hören lernen kann. Und das Leben in unserer Gesellschaft ist zweifelsohne mit hören einfacher. Könnten Sie oder Ihr Mann z.B. Ihren Beruf ohne telefonieren oder „normale“ Gespräche ausüben? Die Entscheidung ist daher garantiert nicht leicht. Als Herstellerunabhängige Beratungsstelle kann ich Ihnen das CIC xxx empfehlen, die REHA-Massnahmen für alle CI-Typen anbieten, aber nicht selbst operieren. Daher ist die Beratung wirklich unabhängig und ist sehr gut, wenn auch, natürlich, pro CI. Wenn Sie möchten, mailen Sie mir, ich kann Ihnen gerne die Adresse und Ansprechpartner nennen. Zu den CI-Kosten sei noch kurz gesagt, das diese durch gesetzliche Krankenversicherungen i.d.R. komplett bezahlt werden. Es sollte also bei Ihrer Entscheidung nicht am finanziellen hängen“….
Eine Mutter berichtet an mich:
…“Da die Diagnose an Taubheit grenzend schwerhörig, aber von einem anerkannten HNO Arzt, der sich auf Hörstörungen bei Kindern spezialisiert hatte, kam, beschlossen wir, diesem zu vertrauen. Danach folgten Hörgeräteanpassung (nicht zur Freude unserer inzwischen 9 Monate alten Tochter!!!) und endlose Diskussionen mit dem xxx Klinikum, warum wir sie nicht implantieren lassen würden. Dies wurde nicht unbedingt fair durchgeführt. Als tiefe Erinnerung aus dieser Zeit ist mir die Bemerkung geblieben, wir verweigern unserem Kind die Sprache. Dann begann die Frühförderung. Als Eltern, die mit der Materie gänzlich unvertraut waren, bekamen wir gesagt, wir sollten nur sprechen und keinesfalls gebärden, nicht mal natürliche Gebärden verwenden. Das erschien mir absolut unsinnig bei einem Kind, das gehörlos (100/110 dB) ist.“ ….
Eine Hörgeschädigte an mich: …“Im Internet habe ich einen Artikel gelesen, von Ihnen, wo es um das Cochlear Implantat geht. Sie schrieben, das Keiner Aufstand! Ich wäre gerne da gewesen und ich wäre mit Sicherheit aufgestanden. Seit Jahren wehre ich mich dagegen, mein Ohrenarzt, sowie der Arzt in der Hörgeschädigtenklinik in der ich zur Kur war, empfehlen das Implantat und halten es für das Mittel! Gebärdensprache wäre nur etwas für Ertaubte. Ich wehre mich dagegen, da ich erstens Angst vor solch einem Eingriff habe, zweitens kann ich auch damit keine Musik machen und drittens will ich nicht mechanisch hören wollen! Leider wird es dann so ausgelegt, das die Patientin nicht kooperativ ist und somit die Ressourcen der Ärzte ausgeschöpft sind. „Nicht einsichtig“ kam auch in einem Gutachten vor. Ich habe Menschen kennen gelernt, die damit klar kamen, aber auch Menschen, die es bereut haben. Frau Kestner, ich wäre aufgestanden!“…
Eine Mutter an mich:
…“Vielen Dank für Ihre Seiten, ich fühle mich jetzt nicht mehr so allein gelassen, und weiß, dass es auch andere Mütter gibt, die so denken wie ich. Wie oft musste ich mir anhören, ich würde meine Tochter von der Welt der Hörenden abschneiden, wie oft, dass ich ihr das Leben zerstöre. Ich müsste diese Chance doch nutzen, ihr ein CI zu geben. Nein, ich wollte ihr diese Operation nicht zumuten. Noch mal vielen Dank.“
Eine gehörlose Mutter an mich:
…“Die Ärzte ließen einfach nicht locker, ich sollte eine BERA machen lassen. Ich weigerte mich, ich wollte keine Narkose für mein Kind und mir wäre es ja auch egal ob sie hört oder nicht. Es kam zu heftigen Streitereien mit den Ärzten, sie sagten dass man es früh feststellen müsste, um schnell etwas zu unternehmen. Nachts weinte ich“…
Eine Mutter an mich:
„Ich entschied gegen das CI. Das war offenbar nicht im Sinn der Mediziner. Wir standen unter massiven Druck, der in der Aussage gipfelte „sie verweigern ihrem Kind sein Recht auf Sprache“. Das war dann der Punkt, an dem ich mir sicher war, nie wieder die HNO-Abteilung des Klinikums zu betreten. Zum Glück wurde uns ein auf Kinder spezialisierter HNO-Arzt ca. 30 km entfernt empfohlen. Eine erneute BERA, diesmal ohne Probleme im natürlichen Schlaf, obwohl sie inzwischen schon 8 Monate alt war, erbrachte ein Ergebnis von 100 dB rechts und 110 dB links. Aufgrund dessen bekam sie Hörgeräte angepasst. Sie lebt inzwischen in beiden Sprachen“….
Eine Vater an mich:
…“Durch Ihre Seiten haben wir wieder Hoffnung geschöpft. Vielen Dank. Nach den endlosen Diskussionen um CI – ja oder nein- mit den Ärzten, wissen wir jetzt, dass es unserem Sohn auch mit seiner Gehörlosigkeit gut gehen kann. Menschen wie Sie brauchen wir in dieser Welt. Gott sei mit Ihnen.“
Horrorszenario von einer lautsprachlich erzogenen Hörgeschädigten an eine Mutter:
…“Bedenken Sie nur einmal: Wenn Ihr Kind (nur) die Gebärdensprache lernt, dann kann es sich mit niemand anderem verständigen, als mit Ihnen und anderen Gehörlosen und den wenigen Menschen, die Gebärdensprache gelernt haben. Wie soll es auf halbwegs normalem Wege Abitur machen? Wie soll es an der Uni studieren? Wie soll es jemals allein ins Ausland reisen? Wie soll es auch nur in einer fremden Stadt nach dem Weg fragen? Soll es dazu verdammt sein, sich seine Gesellschaft ausschließlich aus dem Kreis der Gehörlosen wählen zu können? Soll es so sehr in der Berufswahl eingeschränkt werden? Wollen Sie ihm die Welt der Hörenden unzugänglich machen, da es nicht mit ihnen kommunizieren kann? Wollen Sie seinen Lebensraum einschränken? Wäre all dies nicht eine viel schlimmere „seelische Vergewaltigung“?“…
Ein Vater an eine Mutter:
….“Sie sollten sich gut überlegen was Sie für Ihr Kind wünschen. Soll es wirklich, nur weil Sie die anstrengende Lautsprach-Therapie scheuen, auf ein selbstständiges Leben verzichten? Es wird keine normalen Chancen im Leben haben, es wird nie ohne Dolmetscher zurecht kommen, wird immer abhängig bleiben von anderen. Wollen Sie das für Ihr Kind?“….
Ein Vater in einem Forum:
Ein Vater: „Meine Tochter ist gehörlos, sie bekommt kein CI“
Die Antwort: „Um das zu Verstehen fehlt mir Ihre Begründung.“
Ein Vater:
„Ist es denn bei Ihnen wirklich so, dass Ihre Tochter nicht operiert werden kann, oder wollen Sie nicht? Falls bei ihr kein CI implantiert werden könnte, so glauben Sie mir, würde ich das sehr bedauern. Aber leider gibt es diese Fälle nun mal auch und ihnen steht Hilfe in anderer Form zur Verfügung. Falls es aber so sein sollte, dass SIE ihr das CI und somit die Chance zum Hören verweigern, obwohl sie für eine Operation in Frage käme, müssen auch SIE das mit IHREM Gewissen ausmachen.“
Die Cochlea Implantat Hersteller tun das ihre mit der Werbung, Werbung, die sich kein anderer Hersteller von Hilfsmitteln erlauben würde. „Die Welt gehört dem, der sie hört Höre die Musik etc…“
Wenn ich diese Reaktionen von Menschen, die sich für CI entschieden haben lese, stellt sich mir die Frage „Ist es für Eltern einfacher mit der Entscheidung pro CI zu leben, wenn sich danach alle Eltern für CI entscheiden, damit ja keine Selbstzweifel an ihrer eigenen Entscheidung aufkommen?
Hier die Einschätzung eines Hörgeschädigtenpädagogen zum CI: Die Eltern haben die Hoffnung – mit CI wird alles besser. Sie erleben die Wartezeit – aber wann wird es besser ? Irgendwann kommt die Ernüchterung – mehr war nicht drin! Das Ergebnis: Ein Mensch mit schwachen Voraussetzungen, um in unserer Leistungsgesellschaft eine Position zu finden, die zufrieden stellt.
Karin Kestner
Anmerkung: Frau Kestner ist 2019 verstorben