Elternhilfe - Erste Schritte
von Karin Kestner, 2001-2009
Liebe Eltern,
Sie haben ein Kind, bei dem eine Hörschädigung vermutet wird oder schon diagnostiziert wurde? Was soll ich jetzt tun? Was ist für mein Kind richtig? Muss ich den Expertenmeinungen folgen?
Viele Eltern sind nach der „Diagnose hörgeschädigt“ ihres Kindes völlig verunsichert und oft überfordert, die richtigen Entscheidungen für ihr Kind zu treffen. Die meisten Eltern werden völlig unvorbereitet mit einem für sie unbekannten Thema konfrontiert, wo es viele Entscheidungen zu treffen gilt und Maßnahmen ergriffen werden müssen. In dieser Situation ist man froh, wenn es Fachleute gibt, die einem sagen, was zu tun ist. Doch leider sind die Ratschläge vieler Fachleute, wie Ärzte, Frühförderer und Pädagogen nicht immer das Beste für Ihr Kind. Sie zeigen Ihnen meist nicht alle Alternativen für Ihr Kind auf, sondern nur die Empfehlung aus seinem jeweiligen Fachgebiet und dazu oftmals völlig überholt.
Wenn sich manche Eltern dann doch noch zusätzlich selbst informieren, merken viele, dass die Meinung der „Fachleute“ offensichtlich gar nicht so absolut und eindeutig ist, wie sie dargestellt werden, sondern, dass es zu vielen Themen Alternativen gibt, bei denen jeder seinen eigenen Weg finden kann und sollte.
Im folgenden möchten wir Ihnen einige Stichworte mit auf den Weg geben, die Sie bei der Beratung von „Fachleuten“ im Hinterkopf behalten sollten und die Ihnen vielleicht helfen, Ihren eigenen Weg zu finden. Diese Informationen sind die stichwortartig zusammengefasste Erfahrung aus fast 10 Jahren Beratung von Eltern hörgeschädigter Kinder.
Karin Kestner
Kontakt
Suchen Sie Kontakt zu anderen Eltern von gehörlosen und schwerhörigen Kindern. Lernen Sie betroffene, gehörlose Menschen kennen und tauschen Sie sich aus. Hier der Link zur DGS-Babysitter-Börse. Hier finden Sie gehörlose Menschen in Ihrer Nähe.Lernen Sie von den Erfahrungen anderer insbesondere in der Durchsetzung Ihrer Rechte bei den Ämtern. Suchen Sie sich eine Beratungsstelle für hörgeschädigte Kinder suchen. Da tauchen nun neue Schwierigkeiten auf! Wo finden Sie Eltern, wo finden Sie Beratungsstellen? Fragen Sie
beim Bundeselternverband gehörloser Kinder! Und warum sollten Sie Kontakt mit Gehörlosen suchen? Die Antwort ist einfach: Sie sind die Experten für Gehörlosigkeit.
Der Deutsche Gehörlosen-Bund hat eine Broschüre herausgebracht mit dem Titel „Hörbehinderte Kinder mit Zukunft“. Die Broschüre richtet sich an Eltern die mit der Diagnose „hörbehindert“ zu tun haben. Sie zeigt u.a., was Hörbehinderung für ein Kind und seine Eltern bedeutet und wie die Kommunikation in der Familie so gelingen kann, dass einer gesunden emotionalen und sprachlichen Entwicklung des hörbehinderten Kindes nichts im Wege steht.
Untersuchung
Zuerst sollten Sie Ihre Vermutung, dass Ihr Kind schlecht oder gar nicht hört, Ihrem Kinderarzt mitteilen. Viele Ärzte können Hörtests schon in ihrer Praxis machen, oder Sie werden an einen Hals-Nasen-Ohren-Arzt (HNO) verwiesen. Hier finden Sie die Beschreibung der Untersuchung der otoakustische Emission (OAE), auch Neugeborenenhörscreening gemannt.
Wenn die Diagnose nicht sicher ist oder nicht zufrieden stellend, wird er Sie an eine Audiologische Klinik verweisen. Dort wird genau untersucht ob und wie viel Ihr Kind hört! Dies geschieht in einem Test, der sich BERA nennt. Hier finden Sie ein ausführliche Beschreibung der BERA. Dann erst wird es zur Gewissheit und die ist Voraussetzung dafür, wie Sie den Weg mit Ihrem Kind fortsetzen!
Hörscreening- und Hörtestergebnisse können sehr fehlerbehaftet sein, sie hängen von vielen Einflussfaktoren ab. Der Hörstatus Ihres Kindes kann sich im Laufe von Monaten oder Jahren verändern und auch noch deutlich bessern. So kann vielleicht eine Versorgung mit Hörgeräten vollkommen ausreichend sein und eine CI-Operation ist vielleicht gar nicht notwendig. Es gibt Kinder, bei denen sich der Hörstatus von einer Erstdiagnose von 100db nach ein paar Jahren auf 60db verbessert hat.
Es gibt keine festen Zeitfenster für die Hörentwicklung, die „sich schließen“. Kinder können auch mit 2 Jahren noch anfangen hören und sprechen zu lernen. Hörbahnen reifen noch, der Hörstatus kann sich verändern. Eine gute Versorgung mit Hörgeräten gibt Ihrem Kind, alles, was es in dieser Zeit braucht und Ihnen die Luft für die richtige Entscheidung.
Lassen Sie sich weder von Ärzten, noch Frühförderern, weder zeitlich „die OP muss innerhalb der ersten 9-12 Monate erfolgen“, noch inhaltlich „auf keinen Fall Gebärdensprache verwenden“ unter Druck setzen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Sie unter Druck gesetzt werden, ist hoch. Seien Sie darauf vorbereitet.
Ihr Kind wird – entgegen der Aussagen vieler Ärzte und Pädagogen – nicht „faul“ hören und sprechen zu üben, wenn Sie ihm zusätzlich Gebärdensprache anbieten. Das ist ein altes, absichtlich falsch verbreitetes Märchen, um Eltern auf dem medizinischen Weg zu halten.
Bieten Sie ihrem Kind von Anfang an die beste Hörgeräteversorgung + Gebärdensprache an. Damit können sie nichts verkehrt machen und Sie und Ihr Kind haben noch alle Türen offen. Eine Entscheidung für oder gegen ein Cochlear Implantat (CI) kann auch nach Jahren noch getroffen werden. Nach einer (vielleicht unnötigen) CI-Operation sind aber meist alle Hörreste zerstört, sie kann nicht rückgängig gemacht werden.
Sie kennen Ihr Kind am besten, überlassen Sie die Entscheidung, was für Ihr Kind richtig ist, nicht den Ärzten.
Lassen Sie die Hörgeräteversorgung ihres Kindes nicht in einer CI-Klinik machen. (Bewusste) Fehleinstellungen und Unterversorgungen des Kindes mit minderwertigen Hörgeräten, um den Entscheidungsdruck für ein CI zu erhöhen, sind keine Ausnahme. Jede Klinik wird bei einem schwer hörgeschädigten Kind ein CI empfehlen, da dies die Maßnahme ist, für welche die Klinik spezialisiert ist. Wenn Sie eine gute Hörgeräteanpassung wollen, sind Sie meist in einer Klinik falsch beraten, wenden Sie sich an einen erfahrenen Päd-Akustiker, der mit hörgeschädigten Kindern Erfahrung hat. Vergleich: Wenn Sie einen Fleischer fragen, wie Sie Ihr Frühstücksbrötchen belegen sollen, wird er Ihnen nicht Schweizer Käse empfehlen, sondern allenfalls geräucherten Hinterschinken.
Klären Sie mit dem Akustiker gleich zu Beginn ab, ob bei ihm die Hörgeräteversorgung von Kindern kostenlos ist. Dies sollte selbstverständlich sein. Kinder sind entsprechend kostenfrei zu versorgen. Wenn der Akustiker nicht mitmacht, telefonieren Sie mit einem anderen Päd-Akustiker und vergleichen Sie die Angebote.
Holen Sie sich ein Rezept bei einem HNO-Arzt Ihres Vertrauens und gehen Sie zu einem kompetenten Hörgeräteakustiker oder Päd-Akustiker. Lassen Sie sich nicht mit einem „Standardgerät“ abspeisen, sondern die besten digitalen Geräte für Ihr Kind anpassen, die verfügbar sind. Sie haben das Recht verschiedene Hörgeräte zu probieren bis sie und ihr Kind zufrieden sind.
Ein Sinn fehlt
Ihrem Kind fehlt ein Sinn, ein Sinn der Ihnen sehr wichtig ist! Sie sind verzweifelt und fragen die Ärzte, was man dagegen machen kann. Sie wollen doch ein Kind, dem alle Freuden des Lebens erschlossen werden können. Sie möchten, dass Ihr Kind hört, die Musik und die Sprache… Sie fühlen sich hilflos und erwarten von Ärzten Hilfe! Sie hatten sich doch ein gesundes Kind gewünscht. Ihr Kind ist gesund, es leidet nicht, wie Sie vielleicht vermuten, doch es fehlt ein Sinn.
Hörhilfen
Die Ärzte werden Ihnen aus medizinischer Sicht erklären, welche Möglichkeiten Ihnen und Ihrem Kind zur Verfügung stehen. Doch alle medizinischen Möglichkeiten, Ratschläge oder Operationen werden nicht aus einem stark hörgeschädigten oder gehörlosen Kind ein „normal-hörendes“ Kind machen können. Ihr Kind wird immer hörgeschädigt bleiben. Vielleicht mit Hörgeräten oder mit einem Cochlear Implantat (CI), einer in den Kopf implantierten Hörhilfe! Das Thema CI weckt bei vielen Eltern die Hoffnung die Behinderung technisch „lösen zu können“. Diese Hoffnung wird all zu oft enttäuscht. Es bleibt ein „Ausprobieren“! Eine sichere Prognose, ob Ihr Kind damit hören kann und sprechen lernen wird, kann Ihnen niemand geben.
Manche Kinder können aus verschiedenen Gründen nicht operiert werden, (kein Hörnerv, verknöcherte Cochlear, (Hörschnecke), Jahrelange Nachsorge ist auf jeden Fall ein Muss nach der Implantation. Viele Kinder erreichen nur ein unbefriedigendes Hör-Ergebnis, manche Kinder lehnen das implantierte CI ab. Ärzte können Ihnen nur den medizinischen Standpunkt erklären, nicht mehr. Das ist aber zu wenig! Die meisten Ärzte wissen nichts über Gebärdensprache – geschweige denn etwas über die Gehörlosenkultur.
Warum sich Eltern gegen ein Cochlear Implantat entscheiden.
Es muss nicht immer das CI sein. Es gibt heute digitale Hörgeräte, die große Hörverluste ausgleichen können. Erkundigen Sie sich bei Ihrem Hörgeräteakustiker über die neusten Entwicklungen. Wie bei Allem kommt es aber auf den Hörverlust Ihres Kindes an, fragen Sie welches Hörgerät passend ist. Die Berliner Charitè hat eine Studie „Hörgeräte oder CI“ durchgeführt. Ergebnis: „Schwerhörige Kinder profitieren nach Meinung ihrer Eltern von Hörgeräten mehr als von operativ eingesetzten Cochlear Implantaten. Dies ergab eine Studie der HNO-Klinik der Berliner Charité. Die Experten betonen, dass bei Kindern, die nicht völlig taub sind, alle Möglichkeiten der modernen Hörgeräteversorgung ausgeschöpft werden sollten, bevor die Entscheidung für ein Cochlear Implantat getroffen wird.“
Immer häufiger kommt es vor, dass Ärzte oder Kliniken das CI schon ab einem Hörverlust von 70 db empfehlen. Bei einem Hörverlust von 70 db ist mit Hörgeräten Sprachverständnis zu erreichen und eine Lautsprachentwicklung zu erwarten, wenn nicht noch andere Behinderungen hinzu kommen! Der Nutzen eines CI wäre bei 70 db nicht größer als mit Hörgeräten!
Wenn ein Kind nicht für ein CI geeignet ist, wegen fehlender oder missgebildeter Hörschnecke oder nicht funktionierender Hörnerven, wird Eltern in letzter Zeit öfter auch das Angebot eines Hirnstammimplantates gemacht. Diese Operation, die mit erheblichen Risiken für das Kind verbunden ist, wurde an Kindern in Deutschland bis heute nur einmal gewagt. (2006) Lesen Sie hier alles zum Thema Hirnstammimplantation
Lassen Sie sich nicht drängen. In einer Arbeit, die in Kooperation mit dem Callier Center for Communication Disorders der Universität Texas in Dallas entstand, wurden mittels Elektroenzephalographie (EEG) Kinder nach Cochlea-Implantation untersucht. Dabei zeigte sich, dass sich die auditorische Hirnaktivität von Kindern, die vor ihrem vierten Geburtstag implantiert worden waren, derjenigen von hörend Geborenen innerhalb weniger Monate nach Implantation angeglichen hatte. Erst bei Patienten, die erst nach dem siebten Lebensjahr ein Implantat erhalten hatten, blieb die auditorische Hirnaktivität abnormal. (Hearing Research 203, 2005.) Sie haben also Zeit, den für Ihre Familie richtigen Weg zu finden.
Können Eltern gerichtlich zur Implantation ihres Kindes gezwungen werden?
Lassen Sie sich weder von der Industrie, noch von Medizinern, Beratern oder Pädagogen Angst machen und unter Druck setzen. Mit welchen unfairen Mitteln Sie beeinflusst werden sollen, können Sie anhand von Beispielen hier und hier lesen.
Stellungnahmen zum Cochlear Implantat:
vom Deutschen Gehörlosen Bund(2006)
vom Schweizer Gehörlosen Bund
vom Österreichischen Gehörlosenbund
Hier finden Sie eine überaus wichtige Broschüre zur Sprachentwicklung von Kindern mit CI – von Prof. G. Szagun.
Annehmen
Wichtig ist, dass Sie sich mit der „Behinderung“ Gehörlosigkeit auseinander setzen! Wichtig ist, dass Sie Ihr Kind lieb haben, es annehmen und die „Behinderung“ nicht als einen wegoperierbaren Schönheitsfehler sehen! Ihr Kind wird ein anderes Leben führen, als Sie es leben! Ich schreibe bewusst „Behinderung“ in Anführungszeichen, denn wenn Sie Kontakt mit Gehörlosen gefunden haben, werden Sie schnell feststellen, dass sich Gehörlose überhaupt nicht als Behinderte sehen! Viele Gehörlose fühlen sich nur durch die Gesellschaft behindert.
Gehörlosenkultur
Gehörlose haben ihre eigene Sprache, die Deutsche Gebärdensprache (DGS) und haben ihre eigene Kultur entwickelt. Sie haben nicht nur eigene Kulturzentren, Sportvereine, Kommunikationsforen, Künstler, sondern auch mehrere Gehörlosen-Theater Gruppen, wie z.B. das Deutsche Gehörlosen-Theater. In dieser Kulturgemeinschaft oder Gebärdensprachgemeinschaft fühlen sie sich frei in der Kommunikation, sicher und geborgen! Einige sagen sogar: „Ich will nicht hören!“ und lehnen Cochlear Implantate ab.
Wege
Kontakt zu Gehörlosen finden Sie in fast jeder Stadt. Sie finden Sie im Telefon- oder Faxbuch oder über das Internet unter den Stichworten: Landesverband der Gehörlosen; Orts-Bund der Gehörlosen; Gehörlosenseelsorge; Gehörlosen-Stadtverband oder Selbsthilfegruppe für Gehörlose. (oder Hörgeschädigte) Weitere Adressen finden Sie auch auf meiner Seite mehr Infos… DGS-Kurse! Um Ihnen eine Hilfestellung bei der Suche nach Anlaufstellen zu geben, habe ich versucht in Deutschland einige Beratungsstellen und Schulen und Frühförderstellen ausfindig zu machen, die Eltern allumfassend und zum Wohl der Kinder neutral beraten und begleiten! Warum ich dies explizit erwähne wird Ihnen unter klar!
Methodenstreit
Viele hörende Menschen, leider auch in der Beratung und Frühförderung, sehen die Gehörlosigkeit als ein Defizit, das man beheben kann/muss. Eltern werden meist nur einseitig aufgeklärt und leider oft genug überredet den Weg der Lautsprache ohne Gebärdensprache einzuschlagen. Viele Untersuchungen bestätigen aber inzwischen, dass der Weg über Gebärdensprache als Ausgangssprache auch zur Sprache in schriftlicher und wenn es gut läuft, auch in mündlicher Form (Lautsprache) führt. Die Gebärdensprache behindert dabei keineswegs den Erwerb der Lautsprache! Die Kinder haben dabei nicht den seelischen Druck hören und sprechen ständig üben zu müssen, um den Eltern oder der Umwelt gerecht zu werden. Lesen Sie z.B. hierzu auch die Veröffentlichung von Prof. W. Butzkamm.
Die Beratungsstellen, die also auch über Gebärdensprache, Gehörlosenkultur und über Hörhilfen in jeder Form aufklären, habe ich in die Liste gestellt. Leider sind es nicht sehr viele, aber es werden mehr! Eltern von gehörlosen Kindern sind etwas schwierig ausfindig zu machen. Manche möchten nicht öffentlich zu der einen oder anderen Richtung Stellung nehmen. Vielleicht aus Scham oder aus Angst vor Druck von der einen oder anderen Seite. Denn, das müssen Sie wissen, von beiden Seiten wird an starren Fronten gekämpft. Die einen sagen, nur dies ist das Richtige für die Kinder und die anderen das Gegenteil. Ich möchte, dass Sie nicht unvorbereitet zwischen diese Fronten geraten und habe nach langem Abwägen hier einige Beispiele zusammengetragen, die den Druck auf Eltern dokumentieren, die sich contra CI entschieden haben. Und hier für Sie ein aus dem englischen übersetzter Artikel über zweisprachige Erziehung, -Gebärden- und Lautsprache.
Gebärdensprache
Liebe Eltern,
im Internet finden Sie in vielen Seiten Hinweise auf die ausschließlich lautsprachliche Förderung von hörgeschädigten Kindern. Sie finden viele Ratschläge, wie Sie Ihrem Kind mit Zeit und Mühe ein paar lautsprachliche Worte antrainieren können. Immer wieder wird darauf hingewiesen, wie wichtig es ist, dass ein Kind lautsprachlich sprechen lernt. Hinweise auf die spätere angeblich bessere Integration fehlen nie. Oft ist es aber das fehlende akzeptieren der „Behinderung“, und der Druck von Seiten der Mediziner, die Eltern dazu verleitet diesen einseitigen Weg einzuschlagen. Auf Wissensvermittlung wird die ersten Jahre kaum Wert gelegt. Zeit, dringend benötigte Zeit, geht mit Sprechübungen verloren. Oft bleiben die Kinder sprachlos und seelisch auf der Strecke.
Mit gebärdensprachlicher Förderung kann von Anfang an Wissen und Identität vermittelt werden, wie jedem anderen Kind auch, Wissen, auf dem Ihr Kind aufbauen kann. Aber nicht nur Wissen, Sie können eine entspannte Kommunikation aufbauen, können mit Ihrem Kind genauso über Gefühle und alltägliche Sorgen sprechen, so wie es Eltern von hörenden Kindern tun. Der Wortschatz kann genauso schnell aufgebaut werden wie bei einem hörenden Kind.
Wenn Sie sich entschließen Gebärdensprache zu lernen, werden Sie die schönste Sprache der Welt kennen lernen. Ihr Leben wird einen neuen Sinn bekommen. Und Sie werden niemals den Kontakt zu Ihren Kindern durch unterschiedliche Sprachen verlieren, denn Ihre Kinder werden früher oder später mit der Gebärdensprache leben. Politik, Gesellschaft und Pädagogen sind dabei von den veralteten Vorstellungen der rein lautsprachlichen Erziehung weg zu kommen (manche haben es schon geschafft…). Der Weg führt hin zur zweisprachigen Erziehung – dem Bilingualismus. Gehörlosigkeit wird nicht mehr als reine Behinderung gesehen, die man operativ entfernen kann.
Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, Kinder, die von Anfang an gebärdensprachlich und lautsprachlich erzogen wurden, haben große Vorteile. Sie können sich später der Kommunikations-Situation besser anpassen, können in vielen Fällen den dringend notwendigen Dolmetscher verstehen. Z.B. bei Betriebsversammlungen, Diskussionen, kulturellen Veranstaltungen, auch in der Schule, bei Gesprächen mit mehreren Personen, wo Lippen-Absehen schlichtweg unmöglich ist und natürlich in der Gemeinschaft der Gehörlosen. Auch Schwerhörige lernen zunehmend Gebärdensprache oder wenigstens Lautsprachbegleitende Gebärden und sehen ihre Vorteile. Schauen Sie die Lernprogrammen „Das große Lernprogramm der Deutschen Gebärdensprache“ und „Tommys Gebärdenwelt“ an und drucken Sie sich auch schon mal das Fingeralphabet aus. Sie und Ihr Kind können mit Hilfe von Gebärdensprachdozenten zu Hause individuell auf Ihre Bedürfnisse zugeschnitten Gebärdensprache lernen. Die Eingliederungshilfe übernimmt die Kosten für einen Hausgebärdensprachkurs für Ihr Kind. Das Jugendamt übernimmt die Kosten für einen Gebärdensprachkurs für die Eltern.
Entgegen der immer noch von Medizinern, Frühförderern und mancher Pädagogen verbreiteten Meinung ist es unterdessen vielfach wissenschaftlich bewiesen, dass Gebärdensprache die Lautsprachentwicklung fördert und nicht anders!
Namhafte Wissenschaftler unter anderem aus Amerika und Deutschland sind der Frage nachgegangen, was in der Beratung der Eltern gehörloser Kinder geändert werden muss, damit die Kinder nicht kognitiv und sprachlich verarmen. Viele Studien zeigen, dass gehörlose Kinder, die gebärden, bessere schulische Leistungen erzielen als nicht gebärdende gehörlose Kinder, und zwar unabhängig von anderen Faktoren. Lesen Sie diesen Beitrag aus: DAS ZEICHEN 98/2014 über den Spracherwerb gehörloser Kinder.
Nachdem ihr Kind die Gebärdensprache als Ausgangssprache (Basisprache) gelernt hat, kann eine gute Schrift- und Lautsprachkompetenz erreicht werden (abhängig von der Begabung des Kindes). Ich kann hier nur dringend auf das Buch von Emmanuelle Laborit „Der Schrei der Möwe“ und das Buch „Wie Kinder sprechen lernen“ hinweisen. „Ein gebärdender Mensch ist kein stummer Mensch“.
Auch Sie werden diese Sprache lieben lernen. Ich liebe die Gebärdensprache, weil man alles mit ihr auf ganz besonders schöne, ausdrucksstarke und gefühlvolle Art ausdrücken kann. Ich liebe die Gebärdensprache, weil ich durch die Gebärdensprache in gehörlosen Menschen viel gefunden habe, was Hörende nicht besitzen.
Hier sehen Sie ein Video „Was ist Gebärdensprache“ von Katja Fischer
Lernen Sie unabhängig vom Hörstatus Ihres Kindes von Anfang an zusätzlich zur Hör-Frühförderung mit Ihrem Kind Gebärdensprache. Suchen Sie sich eine Frühförderin, die Gebärdensprache beherrscht. Trotz gegenteiliger Aussagen von Ärzten und Frühförderern behindert Gebärdensprache nicht die Lautsprachentwicklung. Es gibt unterdessen ausreichend wissenschaftliche Studien zu diesem Thema. Es kann höchstens eine geringe Anfangsverzögerung der Sprachentwicklung vorkommen, wie es auch in jeder deutsch-französischen Familie mit bilingual erzogenen Kindern vorkommen kann. Nach dieser Anfangsverzögerung werden beide Sprachen vollkommen und gleichwertig aufgebaut. Gebärdensprache fördert die Lautsprache.
Wenn Sie von Anfang an mit Ihrem Kind Gebärdensprache lernen, unabhängig davon , ob Sie sich für oder gegen eine CI-Implantation entscheiden, eröffnen Sie Ihrem Kind unschätzbare Möglichkeiten:
- Falls das CI nicht den erhofften Erfolg mit der Lautsprache und uneingeschränkter Kommunikation bringt, hat Ihr Kind keine Zeit mit jahrelangem Hör- und Sprachtraining verloren.. (nur 30% der CI operierten Kinder erlangen ein gutes Hör- und Sprachvermögen)
- Ihr Kind kann später als Jugendlicher selbst entscheiden, zu welcher Identität / Gemeinschaft es gehört, wenn es beide Alternativen gleichwertig angeboten bekommen hat.
- Falls sich der Hörstatus Ihres Kindes später drastisch verschlechtert (Hörsturz, etc.), ist es nicht für Monate und Jahre hilflos, sondern hat eine vollwertige Sprache, die ihm alle Perspektiven ermöglicht.
- Gebärdensprache schadet nichts, macht nichts kaputt und tut nicht weh.
Wenn Sie Gebärdensprache einsetzen, sollten Sie gleich die vollständige Deutsche Gebärdensprache (DGS) lernen. Es gibt keinen Grund, „nur“ LBG (lautsprachbegleitende Gebärden) zu verwenden, weil das Kind vielleicht ansonsten die Grammatik der Deutschen Sprache nicht lernen könnte. Hier gilt ebenso das Beispiel einer deutsch-französischen Familie, bei der die Kinder auch völlig problemlos beide Sprachen und die unterschiedliche Grammatik trennen können. Im Gegenteil, wenn Ihr Kind von Anfang an vollwertiges DGS mit seiner eigenen Grammatik lernt, ist es für das Kind möglich hierauf aufbauend jede andere Grammatik (z. B. der Deutschen Lautsprache) kontrastiv zu erlernen. Nur wenn Ihr Kind über eine vollwertige Sprache (DGS) verfügt, kann es damit weitere Sprachen lernen.
Wenn Sie ihrem Kind zusätzlich Gebärdensprache anbieten, geben sie ihm die Möglichkeit, inhaltlich alle Zusammenhänge beizubringen. Wenn es zunächst auch nicht gleich losplappert, wird in ihm langfristig viel mehr der Wunsch sprechen zu können angeregt, da es durch sein besseres Verständnis auch ein höheres und komplexeres Mitteilungsbedürfnis bekommt. Dieses wiederum wird seine Lautsprachentwicklung fördern und das Lernen von Begriffen beflügeln.
Gebärdensprache ist keine Behinderung. Lautsprache ist für (die meisten) hörgeschädigten Kinder eine Behinderung bzw das Kind wird behindert. Die Lautsprache ist selbst bei gutem Erfolg einer CI-Implantation mehr oder weniger bruchstückhaft und deshalb behindernd. Die Technik kann z. B. schlagartig versagen (im Laufe eines Lebens ist mit 4-6 Reimplantationen wegen defekter Technik, Entzündungen oder Materialunverträglichkeiten, aber auch Verschleiß zu rechnen), bei starkem Nebengeräuschpegel, z. B. in Klassenräumen, bei Gesellschaften, nimmt das Verstehen der Sprache drastisch ab, wenn kein Blickkontakt vorhanden ist, gibt es oft gar keine Kommunikation mehr.
Wenn Sie Ihrem Kind keine volle DGS anbieten können, ist LBG aber besser als gar keine Gebärden. Wenn Sie Ihrem Kind von Anfang an Gebärdensprache beibringen, wird es in Situationen, in denen das Gerät kaputt ist, beim Schwimmen, Duschen und in der Nacht nicht behindert sein und Sie können trotzdem mit Ihrem Kind barrierefrei kommunizieren. Setzen Sie sich damit bewusst auseinander und versetzen Sie sich in die Lage ihres Kindes: Ihr Kind ist immer wenn es das Gerät abnehmen muss, die Batterien leer sind oder etwas am CI defekt ist, komplett taub.
Unterstützung beantragen
Beantragen Sie folgende Unterstützungen und Förderungen:
1. Machen Sie sich schlau! Lernen Sie Ihre Möglichkeiten und Rechte kennen. Die zuständigen Stellen klären Sie dabei in den seltensten Fällen auf. Sie müssen sich selber informieren. Im Internet werden Sie viele Informationen, entsprechende Rechtsprechungen und Tipps finden.
2. Beantragen Sie bei der Krankenkasse Tommys Gebärdenwelt 1-3; und das Grammatikbuch der DGS
3. Beantragen Sie beim Sozialamt / Eingliederungshilfe Ihrer Stadt einen Hausgebärdensprachkurse in DGS für sich und die ganze Familie und „Das große Wörterbuch der Deutschen Gebärdensprache“
4. Beantragen Sie beim Sozialamt / Eingliederungshilfe Ihrer Stadt gebärdensprachliche Frühförderung für Ihr Kind.
5. Sie müssen die Frühförderung nicht von den meist unterbesetzten, „amtlichen“ Stellen durchführen lassen. Sie können die Frühförderung über das persönliche Budget an selbst ausgewählte, gebärdensprachkompetente Fachkräfte vergeben.
6. Beantragen Sie bei der Eingliederungshilfe einen Integrationshelfer für Ihr Kind im Kindergarten und einen Dolmetscher für die Schule, wenn an der Schule keine (nicht genügend) gebärdensprachkompetenten Pädagogen arbeiten. Ihr Kind hat ein Recht auf barrierefreie Bildung.
7. Lassen Sie sich von keinem Amt mit Ihren Anträgen abwimmeln. „Kein Geld vorhanden“, „Sie haben schon so viele andere Leistungen erhalten“ oder ähnliche Aussagen sind keine Ablehnungsgründe.
8. Legen Sie schriftliche Widersprüche ein, kündigen Sie rechtliche Schritte und einstweilige Anordnungen an.
9. Geben Sie trotz vieler Widerstände und Ablehnungen nicht auf, hören Sie nicht auf für Ihr Kind zu kämpfen.
11. Hier finden Sie einen Leitfaden mit Anträgen, Widersprüchen und Urteilen
Schule
Nehmen Sie sich Zeit für die Schulwahl Ihres Kindes. Ob Förderschule oder integriert / inkludiert in der Regelschule, ist eine sehr individuelle Entscheidung, die vom örtlichen Schulangebot und dem Wunsch des Kindes und einer Portion „Bauchgefühl“ abhängt. Das Wichtigste ist, dass Ihrem Kind eine vollständige Kommunikation angeboten wird, damit es das gleiche Wissen erwerben kann, wie ein gut hörendes Kind. Sofern Ihr Kind voll gebärdensprachkompetent ist, kann dieser Anspruch mit voll DGS kompetenten Lehrern o in einer Förderschule erfüllt sein (leider noch sehr selten) oder mit Gebärdensprachdolmetscher in der Regelschule. Die UN Konvention gibt Ihnen das Recht diese Forderung durchzusetzen.
Bei der Schulwahl ist auch die Identitätsbildung des Kindes ein wichtiger Aspekt. Kinder gehörloser Eltern können z. B. sehr gut mit Dolmetscher auf eine Regelschule gehen und so die hörende Welt kennen lernen, da sie in der Freizeit in der Familie sehr gut in der Gehörlosenwelt eingebunden sind. Hörgeschädigte Kinder hörender Eltern haben es oft schwerer ihre Identität zwischen der Hörenden- und Gehörlosenwelt zu finden, da hörende Eltern meist sehr wenig Kontakt mit Gehörlosen haben. Wenn diese Kinder mit Dolmetscher auf eine Regelschule gehen, müssen die Eltern anderweitig Kontakt zur Gehörlosenwelt aufbauen. Nur wenn die Kinder möglichst in beiden Welten aufgewachsen sind, können sie sich später selbst definieren.
Chancen
Ich kann Ihnen nur raten, informieren Sie sich über alle Möglichkeiten, die es gibt! Sprechen Sie auf jeden Fall mit gehörlosen Erwachsenen, sie sind die Experten für diese „Behinderung“. Ihr Kind kann, auch wenn es keine Hörhilfe wie das Cochlear Implantat bekommt, als gebärdensprachlich kommunizierender Mensch ein wunderschönes, beglückendes und freies Leben führen, ohne auf Ihre Hilfe angewiesen zu sein! Seit 1999 besteht für Kinder ab 3 Jahren die Möglichkeit Gebärdensprache mit einer CD-ROM am Computer zu lernen: Tommys Gebärdenwelt!
Ihr Kind kann einen Kindergarten (Regelkindergarten, integrativen Kindergarten, oder hörgeschädigten Kindergarten) besuchen. Ihr Kind kann eine Schule, (Gehörlosen oder Schwerhörigenschule, Regelschule mit Dolmetscher, falls die Kinder gebärdensprachkompetent sind) besuchen. Regelschulen sind sonst nur in seltenen Fällen empfehlenswert, es würde unter 26 anderen hörenden Kindern untergehen. Ihr Kind kann später mit Dolmetschern studieren. Ihr Kind kann einen qualifizierten Beruf ergreifen.
Es liegt nur an Ihnen. Bieten Sie Ihrem Kind alle Möglichkeiten. Lernen Sie Gebärdensprache, schauen Sie auf meiner Seite, mehr Infos… DGS-Kurse, um Ihrem Kind eine entspannte Kommunikation zu ermöglichen. Ihr Kind wird es früher oder später sowieso lernen. Warum dann nicht gleich mit Ihnen zusammen! Auch wenn Ihr Kind ein Cochlea Implantat bekommen sollte, lassen Sie niemals die Gebärdensprache außen vor. Sorgen Sie für Kontakte mit anderen Gehörlosen, damit Ihr Kind merkt, dass es noch andere Menschen gibt, die so sind wie sie selbst. Die Gemeinschaft der Gehörlosen wird Ihnen helfen mit der Situation besser umzugehen.
Es ist unterdessen vielfach wissenschaftlich bewiesen, dass Gebärdensprache die Lautsprache fördert und nicht unterdrückt, wie immer noch von Medizinern, Frühförderern behauptet wird. Lassen Sie sich von keinen Ärzten, Pädagogen oder Frühförderern einreden, dass das Erlernen der Gebärdensprache die Lautsprachentwicklung behindert. Das Gegenteil ist der Fall: Gebärdensprache fördert die Lautsprachentwicklung. Anderslautende Aussagen entstammen einem völlig überholten Wissen aus dem letzten Jahrhundert.
Machen Sie sich selber schlau und haben Sie den Mut Ihre Forderungen durchzusetzen und zu widersprechen, es ist IHR Kind.
Karin Kestner in eigener Sache: Warum ich mich so engagiere
Anmerkung: Frau Kestner ist 2019 verstorben